Da hat es Peng gemacht, die Falle schnappte zu und schwups war ich in der Depression. Ich muss Dich, liebe Leserschaft, enttäuschen, so „einfach“ lief es nicht ab. Die Depression (oder das Burn-out) hat sich langsam angeschlichen, mich verändert, mich verdreht, wie ich auf die Welt schaue. Wenn ich auf die letzten Jahre blicke, könnte es vor drei oder vier Jahre gestartet sein.
Es ist eine Zeit, in der mir langsam die „Lebensluft“ verschwand wie bei einem Fahrradschlauch mit einem winzigen Loch. Irgendwie hat das Rad nach zwei Wochen wieder einen Platten. Du wunderst dich und du findest keinen Grund.
Vielleicht denkst du dir, es ist das Ventil. Du wechselst es nicht, denn du bist dir nicht sicher und pumpst es wieder auf. Alle vierzehn Tage, das stört nicht weiter.
Die unbeschwerte Zeit zur Depression
Ebenso bei mir, ich fand Wege und Techniken, mir zu erklären, warum ich einige Zeitstrecken über im Jahr „ausgepowert“ bin: Das ist nur der Winter, dreh das Licht heller und trinke Matcha oder probiere mal Guarana. Dann gab es die Grippe oder es war das Blutbild.
Die andere Zeit über fühlte ich mich wohl, meine Leistung wirkte stimmig. Dass die Produktivität gefallen war, dass ich schwerer trug bei Konflikten. Ich versuchte einige Themen oder Baustellen zu umgehen. Dies sah ich nicht.
Für mich wirkte es stimmig wie immer.
Erst heute erkenne ich, wie mir eine Kraft, ein Antrieb fehlte, die Dinge anzupacken oder Konflikte konstruktiv anzugehen.
Jetzt erlebe ich, wie einfacher es ist, die — meine — Themen anzunehmen und zu bearbeiten.
Es ist wie beim Eisenmangel, der sich langsam über ein paar Jahre entwickelt hat. Erst wenn der Körper mit dem fehlenden Eisen aufgesättigt wurde und das Blut wieder mehr Sauerstoff binden kann, merkt man, dass das Treppensteigen oder die Laufrunde ohne große Anstrengung klappt.
Erst jetzt sieht man, wie abgeschwächt die eigene Leistung war. Diese erlebte man in der Mangelsituation zuvor als „völlig“ normal und wie immer, ohne Einbußen.
Eine Falle, die diesen Blick verstellte, aber auch ein Rettungsanker ist: die tägliche Pflege, die festen Pflegezeiten und die anhaltende Sorge ums Leben des Kindes. Die Pflege funktionierte. Sie muss vollzogen werden, egal ob ich fiebere, ständig zum Klo rennen muss oder traurig bin.
Im Sommer kam dann der Peng, die Falle „Depression“ schnappte zu.
Wer trägt Schuld
Gibt es eine Ursache, gibt es einen Schuldigen? Nö, es ist eher, wie wenn alle Dinge, alle Menschen und Aktivitäten von mir und um mich herum ein Orchester bilden.
Wenn einer mal falsch spielt, dann wird daran gearbeitet. Doch hier brachen gleich einige Musiker weg, spielten falsche Melodien. Es passte nichts mehr.
Ich verschloss die Ohren, ließ nur die dunklen Töne durch. Die Hellen, die zwitschern wie Vögel, verloren sich, als gab es sie nie. Schöne Gefühle, überhaupt Gefühle, die gab es nicht mehr. Es gab nur Müdigkeit, schwere Beine, schwere Augen und kein Schlaf.
Ja, die Pflege der Dame, die funktionierte immer noch.

Diagnose Depression
Ich lernte in der Krankenpflege früh: Diagnosen können in die Irre führen. Sie sind wie Schubfächer. Doch Krankheiten sind komplexer. Sie belegen zwei, drei Schubfächer, manchmal sogar nur zum Teil. Sie sind ein Sammelsurium aus Symptomen.
Manche Symptome zeigen sich bei mehr als einer Krankheit oder Diagnose. Einige Symptome sind neu, wurden nie mit dieser Krankheit zusammen betrachtet. Andere sind eine Eigenart des jeweiligen Menschen. Sie gehören zu ihm und sind nichts „pathologisches“.
Was ich als Krankheit erlebe, hängt auch von meiner Betrachtung ab. Also ob ich Symptome oder „Eigenarten“ mit Beeinträchtigungen verbinde, als etwas, was die Gesundheit zur Krankheit werden lässt. Dies kann es bei psychischen „Baustellen“ schwierig machen, ob diese vom Betroffenen als eine Störung oder als Eigenart (alles normal) wahrgenommen werden.
Eben, ob ich meinen „nicht aus dem Bett kommen“ oder die dunklen Gedanken wie eine „Störung“ betrachte, weil ich weiß, es ging mir früher anders. Oder ob ich es zu mir gehörig, mein Leben ist so und Punkt, sehe.
Bekomme ich dann eine Diagnose gesagt, mein Sammelsurium an Symptomen bekommt einen Namen, kann es mich verwirren oder verleiten, andere Symptome aus dem Blick zu verlieren, obwohl sie meine „Gesamtkrankheit“ bestimmen.
Mir half es zu sagen: Diagnose Depression. Sie gibt dem, was sich bei mir verdreht und verändert hat, einen Namen.
Ich verstand einiges von mir selbst besser. Für mich gilt: Es ist wichtig, die Depression erst mal als Krankheit, als gegeben hin- und anzunehmen, um darüber zu sprechen und mich auf eine literarische Reise zu begeben darüber.
Ich grenzte mich dadurch ab und dachte über meine Ressourcen neu nach. Ich war mir im Klaren, es gibt Möglichkeiten das Leidvolle der Depression zu behandeln. Es ist eine Krankheit, Punkt.
Die Pflege des Kindes — die Falle und das Glück
15 Jahre pflege ich unsere Intensivlady als pflegender Angehörige. Eine Kehrseite davon ist, es gab in dieser Pflegezeit keine längere Auszeit. Fast jeden Tag wird und wurde gepflegt.
Es gab nur wenig freie Tage, selten eine Woche. Alltag ist, es gibt kein freies Wochenende — es wird durchgearbeitet. Es gibt keine 40 Stundenwoche. Es wird gepflegt, wenn die Pflege anfällt, wenn der Pflegedienst ausfällt … Für uns pflegende Angehörige gibt es kein Arbeitsschutzgesetz. Die Pflege ist unser „Privatvergnügen“ und wir haben uns dafür entschieden.
Ja, wir hatten immer top Unterstützung bekommen durch den Pflegedienst und jetzt von unserem PflegeTeam.
Wir waren in den Kinderhospizen zur Entlastung. Dies hieß aber auch, wir sind /waren bei vielen Aufenthalten weiter eingebunden, denn es ging und geht nicht ohne uns Eltern.
Zu komplex ist die Erkrankung des Kindes. Tagtäglich gilt es über Therapien und Pflegemaßnahmen zu entscheiden.
Vor vier Jahren schlug auch bei uns der Pflegenotstand belastend zu und unser Lebensmodell zitterte.
Der Pflegedienst fiel häufiger aus und für die Entlastung in den Kinderhospizen gab es seit dieser Zeit weniger Zusagen übers Jahr als früher. Oder es gab nur verkürzte Aufenthalte. Oder es wurden ersehnte Aufenthalte abgesagt, sodass wir in unserem Urlaub mehr pflegen mussten als während des „normalen“ Alltags.
Diese Last brannte sich ins Gemüt, verbrannte viel Kraft.
Mindert die PflegeZeit die Schwere der Depression?
Doch es gilt die Vermutung: Vielleicht schützte mich diese Pflege und der Verlust der Privatsphäre im Haushalt durch die Pflegekräfte. Es war/ist ein anstrengender „Glücksfall“ mit der Depression. Ich musste aktiv bleiben, auch wenn es schwerfiel, es mich überforderte. Ich musste ein ordentliches Aussehen zeigen, fast jeden morgen. Da half nur alle Kräfte zu sammeln und durch.
Vielleicht schützte es mich dadurch, mich vollends der Niedergeschlagenheit hingeben zu lassen, bei der man nicht mehr aus dem Bett kommt. Oder es schützte mich vor trüben Gedanken, in die Richtung das eigene Leben beenden zu wollen.
Es ist eine Vermutung, die sich aber gut anfühlt.
Die Pflege der Intensivlady und meine Familie schenkte mir immer wieder Sinn fürs Dasein. Dafür bin ich dankbar.