Es war in 20 Jah­ren eine die­ser harm­lo­sen Fra­gen auf dem Spiel­platz, in der Kin­der­kli­nik oder beim Ein­kau­fen. Eine Mut­ter beug­te sich neu­gie­rig zu mir und frag­te: „Und was hat dein Kind?“
Ich atme­te tief durch. Wie ant­wor­te ich? Kurz und sach­lich? Mit einem Lächeln, das nicht weh­tut? Oder ehr­lich – mit all dem, was dahintersteht?

Mein Kind, unse­re Inten­siv­la­dy, ist schwerst­krank. Es atmet nicht selbst­stän­dig, es kann nicht spre­chen, nicht lau­fen. Es wird über eine Tra­che­al­ka­nü­le beatmet, ist rund um die Uhr auf Pfle­ge ange­wie­sen. Seit 20 Jah­ren ist das unser All­tag – mein Inten­siv­kind, ich, die Gerä­te, die Angst, die Behör­den. Und trotz­dem: Auch die Lie­be, das Lachen und die­ser unge­heu­re Wil­le, weiterzumachen.

Das Leben mit einem inten­siv­pfle­ge­be­dürf­ti­gen und tech­no­lo­gie­ab­hän­gi­gen Kind ist kei­ne Pha­se. Es ist ein eige­ner Kos­mos. Ein Dasein zwi­schen Hoff­nung und Erschöp­fung, zwi­schen Büro­kra­tie und Zärt­lich­keit. Es ist ein Leben, das nicht gese­hen wird – und doch so vie­le von uns betrifft.

Dies schrei­be ich nicht nur als Vater, son­dern als jemand, der die­sen Weg seit vie­len Jah­ren geht. Viel­leicht erkennst du dich wie­der. Viel­leicht brauchst du ein­fach nur das Gefühl, dass du nicht allein bist.

Ein Kind zu pfle­gen, das beatmet wer­den muss, eine Tra­che­al­ka­nü­le trägt und rund um die Uhr Unter­stüt­zung braucht – das ist nicht nur eine Her­aus­for­de­rung, son­dern ein ganz eige­ner Lebens­ent­wurf. Über fast zwei Jahr­zehn­te hin­weg ver­än­dert sich nicht nur der All­tag, son­dern auch das Den­ken, Füh­len und Kämp­fen. Was das wirk­lich bedeu­tet, kann nur ver­ste­hen, wer selbst ein soge­nann­tes Inten­siv­kind zu Hau­se beglei­tet. Und trotz­dem: Die Erfah­run­gen, die Eltern in die­ser Situa­ti­on machen, sind für vie­le ande­re von unschätz­ba­rem Wert.

In die­sem Bei­trag tei­le ich zusam­men­ge­fasst, was wir – als Eltern­teil eines inten­siv­pfle­ge­be­dürf­ti­gen Kin­des – in über 15 Jah­ren gelernt, erlit­ten und gemeis­tert haben.

Intensivlady im Rollstuhl
Inten­siv­la­dy im Rollstuhl 

Pflege wird zur Kompetenz – und zum Lebensinhalt

Man wächst über sich hin­aus. Was am Anfang wie eine medi­zi­ni­sche Kata­stro­phe wirkt, wird mit der Zeit zur täg­li­chen Rou­ti­ne: Absau­gen durch die Tra­che­al­ka­nü­le, Beatmungs­pa­ra­me­ter prü­fen, Son­den­nah­rung geben. Wir Eltern mutie­ren zu Pfle­ge­fach­kräf­ten – nicht frei­wil­lig, son­dern weil es kei­ne Alter­na­ti­ve gibt.

Und auch wenn wir Exper­ten gewor­den sind, erle­ben wir immer wie­der: Unser Wis­sen wird hin­ter­fragt, als sei es falsch. Die Fra­ge, ob ste­ri­le Hand­schu­he beim Absau­gen wirk­lich nötig sind, wird auch heu­te, wie vor 20 Jah­ren, noch dis­ku­tiert – mit Pfle­ge­diens­ten, mit Ärz­ten, mit Kas­sen. Aber für uns zählt eines: die Sicher­heit unse­rer Kin­der. Die rich­ti­ge Pfle­ge des Tra­cheo­sto­ma ist kein Detail – sie ist Lebenserhalt.

Bürokratie ist kein Nebenschauplatz – sie ist ein täglicher Kampf

Pfle­ge beginnt nicht erst am Kran­ken­bett – sie beginnt oft am Brief­kas­ten. Die Bean­tra­gung von Hilfs­mit­teln, der Kampf um aus­rei­chend Pfle­ge­stun­den vom Inten­siv­pfle­ge­dienst für Kin­der, die stän­di­ge Angst vor Ableh­nun­gen: Das Sys­tem ver­langt uns alles ab.

Beson­ders das Inten­siv­pfle­ge- und Reha­bi­li­ta­ti­ons-Stär­kungs­ge­setz (§37c SGB V), das 2020 in Kraft trat, hat uns viel Unsi­cher­heit gebracht. Es sug­ge­riert: Wer nicht alle Richt­li­ni­en erfüllt, muss sein Kind viel­leicht sta­tio­när unter­brin­gen las­sen. Was das für Fami­li­en bedeu­tet? Noch mehr Druck. Noch mehr Angst. Und das Gefühl, im Stich gelas­sen zu wer­den.
The­ra­pien wie Früh­för­de­rung oder Phy­sio­the­ra­pie, auf die unse­re Kin­der ange­wie­sen sind, hän­gen oft an einem sei­de­nen Faden – gestri­chen, gekürzt oder durch büro­kra­ti­sche Hür­den uner­reich­bar gemacht.

Emotionen im Ausnahmezustand – zwischen Dankbarkeit und Erschöpfung

Pfle­ge ist Lie­be. Aber auch Schmerz. Wer das nicht kennt, kann es kaum nach­emp­fin­den. Es gibt Tage, da liebt man das Kind, aber hasst die Pfle­ge. Da fühlt man sich gefan­gen im eige­nen Zuhau­se, in einem All­tag ohne Aus­stieg.
Und doch gibt es Licht­bli­cke: Auf­ent­hal­te im Kin­der­hos­piz zum Durch­at­men, Pfle­ge­fach­kräf­te, die mit Herz bei der Sache sind, klei­ne Rou­ti­nen, die Sta­bi­li­tät geben. Die größ­te Kraft­quel­le? Der Mut, Hil­fe anzu­neh­men – und die Erkennt­nis, dass Selbst­hil­fe nicht Schwä­che, son­dern Stär­ke bedeutet.

Gesellschaftliche Unsichtbarkeit – und der Wunsch nach Anerkennung

Ein Kind mit Beatmungs­pflicht zu pfle­gen, ist in unse­rer Gesell­schaft kein sicht­ba­res The­ma. Leid schreckt ab. Doch genau des­halb braucht es Eltern, die ihre Stim­me erhe­ben – für die Kin­der, die es selbst nicht kön­nen.
Es bleibt eine offe­ne Fra­ge: War­um wird die Pfle­ge, die wir leis­ten – oft pro­fes­sio­nel­ler als jede Kli­nik es je bie­ten kann – nicht als „rich­ti­ge“ Kran­ken­pfle­ge aner­kannt? War­um ist unse­re Arbeit unsicht­bar, obwohl sie Leben erhält?

Fazit: Zwischen Pflicht, Liebe und Kampf

Das Leben mit einem schwer kran­ken Kind in der außer­kli­ni­schen Inten­siv­pfle­ge — AKI — ist kein tra­gi­sches Schick­sal – es ist ein har­ter, inten­si­ver, aber auch bedeu­tungs­vol­ler Weg. Es ver­langt uns alles ab: kör­per­lich, see­lisch, büro­kra­tisch. Aber es bringt auch Tie­fe, Stär­ke und ein ande­res Ver­ständ­nis von Menschlichkeit.

An alle, die ähn­li­che Wege gehen: Ihr seid nicht allein. Eure Arbeit ist uner­setz­lich. Und ihr dürft euch nicht klei­ner machen, als ihr seid.

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert