SAPV: Wie, welche schwerkranken Kinder bekommen Zugang

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Es wur­den wei­te­re Schrit­te gemacht für die Ver­sor­gung von lebens­li­mi­tiert erkrank­ten Kin­dern, wie unserm Inten­siv­kind. Die Emp­feh­lung wur­de erar­bei­tet zur Aus­ge­stal­tung der Ver­sor­gungs­kon­zep­te für die Spe­zia­li­sier­ten ambu­lan­ten Pal­lia­tiv­ver­sor­gung (SAPV) von Kin­dern und Jugend­li­chen. Es wur­de erar­bei­tet von den Spit­zen­ver­band der gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen (GKV), die Deut­schen Gesell­schaft für Pal­lia­tiv­me­di­zin (DGP) und dem Deut­schen Hos­piz- und Pal­lia­tiv­Ver­band (DHPV), mode­riert vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit. Dies klingt ins­ge­samt sehr mäch­tig, erkenn­bar ist auf den ers­ten Blick nicht, ob und wel­che Ver­bän­de der pal­lia­ti­ven /​pfle­ge­ri­schen Kin­der­ver­sor­gung betei­ligt waren wie der Bun­des­ver­band Kin­der­hos­piz oder der Kin­der­kran­ken­pfle­ge wie der Bun­des­ver­band häus­li­che Kin­der­kran­ken­pfle­ge(1). Im zwei­ten Blick taucht zumin­dest der Deut­sche Kin­der­hos­piz­ver­ein als Mit­glied vom DHPV auf.

Nötig, die Belange der Kinder

Vie­le Täti­ge in der Arbeit mit Kin­der ken­nen den Satz: Kin­der sind kei­ne klei­nen Erwach­se­nen. Die Ver­sor­gung, ob pfle­ge­risch oder medi­zi­nisch, von Kin­dern hat einen ande­ren Gestal­tungs­cha­rak­ter als bei Erwach­se­nen. Kin­der haben eige­ne beson­de­re Belan­ge, wel­che in der Pal­lia­tiv­ver­sor­gung berück­sich­tigt wer­den müs­sen. Das die beson­de­ren Belan­ge bestehen und aner­kannt wer­den soll­ten, wird deut­lich mit der Erwäh­nung in ande­ren Tex­ten wie zum Bei­spiel in den Richt­li­ni­en zur häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge. Erkenn­bar wer­den die Belan­ge, wenn man die Arbeit ver­gleicht der Kin­der­kran­ken­pfle­ge zur Kran­ken­pfle­ge ab 18 Jah­re oder die Arbeit der Kin­der­hos­pi­ze gegen­über den Hos­pi­zen für Erwachsene.

Zugang zur SAPV

Eine Dis­kus­si­on, mit dem wir auch zu kämp­fen hat­ten, ab wann besteht ein Anspruch auf Leis­tun­gen der Pal­lia­tiv­ver­sor­gung von Kin­dern. Bei uns ging es um die Hos­piz­pfle­ge. In der Emp­feh­lung wer­den die Zugangs­vor­aus­set­zung zur SAPV gut benannt. also mit wel­chen Grün­den hat mein Kind Anspruch auf die­se Leistung:

“lei­den Kin­der und Jugend­li­che, die der SAPV bedür­fen, häu­fi­ger an gene­ti­schen Erkran­kun­gen, Stoff­wech­sel­lei­den, Hirn­fehl­bil­dun­gen und Mus­kel­er­kran­kun­gen. Zudem kön­nen Kin­der und Jugend­li­che mit kom­plex neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kun­gen Anspruch auf SAPV haben. Dies gilt auch dann, wenn die neu­ro­lo­gi­sche Grund­krank­heit (z.B. peri­na­ta­le Hirn­schä­di­gung) nicht als fort­schrei­tend zu bewer­ten ist, wohl aber die dar­aus ent­ste­hen­den Fol­ge­krank­hei­ten wie Zere­bral­pa­re­se, zere­bra­le Krampf­an­fäl­le, Schluck­stö­rung und restrik­ti­ve Ven­ti­la­ti­ons­stö­rung und bestän­dig an Schwe­re zuneh­men.” aus: Emp­feh­lun­gen zur Aus­ge­stal­tung der Ver­sor­gungs­kon­zep­ti­on der Spe­zia­li­sier­ten ambu­lan­ten Pal­lia­tiv­ver­sor­gung (SAPV) von Kin­dern und Jugend­li­chen. 12.06.2013. URL: http://​www​.dgp​al​lia​tiv​me​di​zin​.de/​i​m​a​g​e​s​/​s​t​o​r​i​e​s​/​E​m​p​f​e​h​l​u​n​g​e​n​_​z​u​r​_​A​u​s​g​e​s​t​a​l​t​u​n​g​_​d​e​r​_​V​e​r​s​o​r​g​u​n​g​s​k​o​n​z​e​p​t​i​o​n​_​d​e​r​_​S​p​e​z​i​a​l​i​s​i​e​r​t​e​n​_​a​m​b​u​l​a​n​t​e​n​_​P​a​l​l​i​a​t​i​v​v​e​r​s​o​r​g​u​n​g​_​v​o​n​_​K​i​n​.​pdf Zuletzt Abge­ru­fen 30.6.13

Bei Kin­der und Jugend­li­che in der pal­lia­ti­ven Situa­ti­on besteht die Schwie­rig­keit eine gesi­cher­te Pro­gno­se zu stel­len, wann der Tod zu erwar­ten wäre. Die­se Sach­la­ge fin­det sch in der Emp­feh­lung wieder:

“Die Pro­gno­se der Lebens­er­war­tung ist bei Kin­dern und Jugend­li­chen mit schwer­wie­gen­den nicht- onko­lo­gi­schen Erkran­kun­gen erheb­lich schwie­ri­ger zu stel­len als bei Erwach­se­nen mit Krebs­er­kran­kun­gen. Die­ser Umstand ist bei der Geneh­mi­gung von SAPV-Leis­tun­gen für Kin­der und Jugend­li­che zu berück­sich­ti­gen und darf nicht dazu füh­ren, dass Kin­der und Jugend­li­che mit nicht-onko­lo­gi­schen Erkran­kun­gen unbe­rück­sich­tigt blei­ben.” aus: ebd.

und

“Laut SAPV-Richt­li­nie des G‑BA sind ins­be­son­de­re bei Kin­dern die Vor­aus­set­zun­gen für die SAPV als Kri­sen­in­ter­ven­ti­on auch bei einer län­ger pro­gnos­ti­zier­ten Lebens­er­war­tung erfüllt (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 2 SAPV-RL).” aus: ebd.

Schwer zu beant­wor­ten wird ver­mut­lich, ab wann “Fol­ge­er­kran­kung” auf­grund einer schwe­ren Grunderkrankung

“bestän­dig an Schwe­re zuneh­men.” aus: ebd.

Mei­ner Erfah­rung nach bedarf es einen Blick über einen lan­gen Zeit­raum wie Mona­te und Jah­re. Je nach lau­fen­den The­ra­pien kann bei ein­zel­nen Fol­ge­er­kran­kun­gen eine Sta­gna­ti­on erkenn­bar wer­den. Oder wenn ich man­che Fol­ge­er­kran­kung betrach­te, so kann ich mir nicht vor­stel­len, dass die Erkran­kung sich wei­ter ver­schlim­mern kann, es hat schon die schwers­te Form.

120 km Einzugsgebiet

Nach der Emp­feh­lung soll der Ein­zugs­be­reich 120 km im Umkreis sein. Es wirkt sehr groß mit der Defi­ni­ti­on “Sprach­li­ches Mit­tel im Umkreis”, ins­be­son­de­re für den länd­li­chen Bereich. Für uns wür­de es bedeu­ten, dass wir von einem SAPV-Team aus Leip­zig betreut wer­den könn­ten. Leip­zig liegt knap­pe 100 km von Jena ent­fernt. Eine lan­ge Stre­cke, zu lang für ein schwer kran­kes Kind, wenn es in einer Schmerz­kri­se hängt, um in Leip­zig vor­stel­lig zu wer­den. Sehr lang für Fach­kräf­te, wenn die­se bei 100 km ein­fa­che Fahrt cir­ca eine Stun­de 30 Minu­ten auf der Stra­ße gebun­den sind. Wenn ein Inten­siv­kind im länd­li­chen Gebiet wohnt fern­ab der Auto­bahn, so wer­den es schnell zwei Stun­den Fahr­zeit. Zwei Stun­den, ins­ge­samt vier Stun­den Fahr­zeit (hin und zurück) vom SAPV-Team­sitz. Ist dies wirk­lich mit einer qua­li­ta­tiv guten Ver­sor­gung ver­ein­bar? Ich ver­mu­te, wenn eine schwe­re Schmerz­kri­se ein­tritt, so muss beim Kind schon alles gere­gelt sein, was gemacht wer­den soll und die Medi­ka­men­te müs­sen vor Ort sein. Eine gute Not­fall­be­wäl­ti­gung, bei dem das SAPV-Team mit den benö­tig­ten Medi­ka­men­ten erst anfährt, sehe ich auf die­ser Distanz nicht.

Rea­lis­ti­scher wirkt für mich eher, dass SAPV-Teams für Erwach­se­ne die Kin­der­ver­sor­gung in den “wei­ßen Flä­chen” mit über­neh­men. Die Bedin­gun­gen sind dafür benannt: Es soll­te min­des­tens ein/​e Ärz­tin /​Arzt der Kin­der- und Jugend­me­di­zin wie auch eine exami­nier­te Kin­der­kran­ken­pfle­ge­kraft zum SAPV-Team gehö­ren. Oder aber, was uner­wähnt bleibt, eine Koope­ra­ti­on geschaf­fen wird zwi­schen SAPV-Teams für Kin­der und Jugend­li­che und den SAPV-Teams für Erwach­se­ne. Die wohn­ort­na­hen Erwach­se­nen­diens­te könn­ten bei schwe­ren Kri­sen anfah­ren, wenn zum Bei­spiel bestimm­te Medi­ka­men­te gebraucht wer­den. Mit dem Kin­der-SAPV-Team wer­den die benö­tig­ten Maß­nah­men bespro­chen. Denn auf­grund des Fach­per­so­nal­man­gels wür­de ich davon aus­ge­hen, dass ein Erwach­se­nen­dienst nicht gleich das gefor­der­te Per­so­nal fin­det für die Kin­der, ins­be­son­de­re wenn eine Wei­ter­bil­dung im Pal­lia­tiv-Care-Bereich gefor­dert ist.

Was sind 40 — 50 Kinder und Jugendliche?

Im Jahr kann ein SAPV-Dienst 40 — 50 Kin­der ver­sor­gen mit einer per­so­nel­len Beset­zung von einer 1,5 — 1,9 Voll­zeit­kraft Ärz­te und 3,5 bis 4 Pfle­ge­fach­kräf­te. Dies sagt die Emp­feh­lung. Aber wie legt es sich um auf dem Monat, also wie­viel Kin­der und Jugend­li­che kön­nen gleich­zei­tig im Monat ver­sorgt wer­den? Mit der Jah­res­be­rech­nung kann ich nichts anfan­gen, denn wenn sich eine Kind­ver­sor­gung über Mona­te und Jah­re ver­läuft — es ver­stirbt also nicht in ein paar Wochen, wo nach das Team wie­der ein neu­es Kind ver­sor­gen könn­te. Oder ist dies viel­leicht sogar par­al­lel gemeint, da die klei­nen “Langzeit-“Patienten nicht jede Woche eine geziel­te Betreu­ung brauchen?

Empfehlung — welche Bindung?

Der gesam­te Text stellt, wie er heißt, eine Emp­feh­lung dar. Hilft mir dies, wenn zum Bei­spiel die Kran­ken­kas­se unse­rem Kind die SAPV-Leis­tung ablehnt und ich mich dann auf die Emp­feh­lung im Wider­spruch stüt­zen will? Wenn ich es den Rechts­cha­rak­ter von “Emp­feh­lung” rich­tig ver­ste­he, nein. Sie stellt ver­mut­lich für die Kran­ken­kas­se eine Richt­schnur dar, aber kei­ne Richt­li­nie, was an Ver­sor­gungs­struktr mög­lich sein kann und finan­ziert wer­den kann. Hat die Kran­ken­kas­se dazu eine ande­re Mei­nung, so kann sie die­se Struk­tur auch anders gestal­ten mit ihren finan­zi­el­len Mit­teln, also auch schwä­cher und mit schär­fe­ren Zugangsvorausetzungen.

Ergänzung

(1) Kin­der­hos­pi­ze wie auch die ambu­lan­ten Kin­der­kran­ken­pfle­ge­diens­te sind sehr nah dran an vie­len Fami­li­en, wel­che “poten­ti­el­le” Pati­en­ten sind für SAPV-Leis­tun­gen. Ihre Ein­schät­zung zur Situa­ti­on und dem Bedarf an SAPV sehe ich als gewinnbringend.

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by dirkstr

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